24. Dezember 2008

Eine kleine Weihnachtsgeschichte aus der Familie


Wir wünschen allen frohe und besinnliche Weihnachten und alles Gute, vor allem Gesundheit, im neuen Jahr,

Jakob, Jannis, Sandra & Ralf

Statt sonstigen Anhängen diesmal eine Weihnachtsgeschichte von meinem Onkel Willi Breuer:

Weihnachtsbaum-Klau

Sonntag, 4.Advent, Anfang der 60er Jahre, ich hatte Semesterhälfte-Ferien. Und die verbrachte ich bei Mutter, Schwester Pauline und Bruder Stefan, im gemütlichen Eifelbauernhaus in meinem Heimatort, Oberkail, in der Eifel. Fast gewohnheitsmäßig hatte ich die Frühmesse besucht, und beschlagnahmte nach dem Frühstück das Wohnzimmer mit fast dem gesamten Mobiliar als Studierzimmer. Die wohlige Wärme des kleinen Holzkachelofens, der außer angenehmer Temperatur auch die unbeschreiblichen Düfte des verbrennenden Holzes verströmte, genoss ich seit vergangenem Winter als beglückenden Rückfall aus der modernen Zeit. Diese hatte uns nämlich den stinkenden Ölofen, die große Neuheit, als praktische und preisgünstige Zimmerheizung, „beschert.“

Über diese Erkenntnis, oder war es die Müdigkeit die mich fast immer beim Lesen überkam, war ich wohl am Tisch eingenickt. Geweckt haben mich die kräftige Stimme meiner Mutter und ihre rabiate Art die Haustür zu öffnen. Sie kam zurück vom Hochamt. Anstatt wie gewöhnlich, ihr Werk mit der Bereitung eines stets besonderen Sonntag-Essens zu beginnen, stürmte sie zu mir ins „Studierzimmer“ und überfiel mich mit der Frage, ob wir schon einen Weihnachtsbaum hätten. Die „Anschaffung“ des Baumes war seit vielen Jahren meine unantastbare Aufgabe. Und diese wollte ich mir auch nicht nehmen lassen. Es war bereits unmittelbar vor dem heiligen Fest, aber wir hatten noch keinen Weihnachtsbaum!

Ich ließ alles steh´n und liegen, nahm wie all´ die Jahre zuvor den kleinen Fuchsschwanz vom Haken, zwängte mich in einen alten Mantel, stopfte Bindegarn in die Taschen und schwang mich in meinen Fiat 500; die Zuverlässigkeit in Person. Bei eingerolltem Faltdach passte jeder Weihnachtsbaum hinein. Ich wusste auch wohin ich wollte, denn bei einem Herbst- Spaziergang hatte ich mir schon kleine Tannen/Fichten gemerkt, die prächtig in unser Wohnzimmer passen würden. Das war oben in Fehdeburg, an der Kreuzung mit den vier Kastanienbäumen. Unterhalb der festen Straße befand sich eine Schonung mit Bäumchen wie gemalt. Und einer davon sollte zu uns in die gute Stube kommen und es dort gut haben.

Munter wie ein Reh brachte mich das Auto in den Wald und zu der Kreuzung, wo ich parkte. Nun war es nicht mehr so, wie noch vor einigen Jahren, dass es den Dorfbewohnern erlaubt war im Gemeinde-Wald (unter Aufsicht) kostenlos einen Weihnachtsbaum zu schlagen; aber ich erkannte keine Unredlichkeit darin die alte Tradition fortzusetzen. Doch war mir aber bewusst, dass ich mich nicht im Gemeinde-Wald sondern im Arenbergischen-Forst befand. Aber was ist schon ein kleines Bäumchen, wenn man vor lauter Bäumen keinen Wald mehr sieht!? Nun soll man ja nichts Unrechtes tun, schon gar nicht in der Weihnachtszeit. Skrupel, das ist was für Angsthasen, Spießbürger und Warmduscher; doch nicht für mich. Erst recht nicht, weil mein Vater, Winter für Winter als Waldarbeiter – bis zur Einberufung 1941 für Hitlerdeutschland – im Wald tätig war. Jawohl, das gab mir die Berechtigung ein Tannenbäumchen nach Maß auszusuchen. Und, heute war Sonntag, da würde sich doch kein Förster im Wald rum treiben. Von einem befreundeten Jungförster wusste ich, dass er ständig über die viele Bürokratie tobte, für die er oft das Wochenende opfern musste, anstatt mit Freunden (manchmal auch mit mir) Fußball zu spielen.

Das Wetter war für mein Vorhaben günstig; zwar kalt, aber trocken und wir hatten noch keinen Schnee. Die von mir schon anvisierten Jungtannen schienen auf mich zu warten. Sie zeigten sich strahlend und edel gewachsen als wollten sie um meine Gunst buhlen. Nach einigen Umrundungen und der Einkreisung einer engeren Wahl zog ich dann den Fuchsschwanz aus dem Ärmel, entschuldigte mich bei dem Bäumchen für das was ihm antun musste, und Ruck-Zuck hatte ich es von seiner Lebensader, dem Wurzelstock, getrennt.
Es war eine Nordmann-Tanne. Nochmals beschaute ich das Bäumchen von allen Seiten; ich war sicher, dieses würde sogar meiner kritischen Schwester gefallen. Mit Handschuhen gegen die spitzen Nadeln geschützt rollte ich das Seil um die Äste und hatte ein gut transportierbares Weihnachtsbäumchen. Ich war richtig stolz auf mein Werk. Nun hinein in die oben offene Knutschkugel, noch einen Blick zurück in diesen prächtigen Mischwald, den ich seit meiner frühen Kindheit kannte wie meine Westentasche. Ich freute mich schon auf das Lob der Familie über mein gleichförmig gewachsenes Weihnachtsbäumchen. Das Auto, mit mir und der oben herausragenden Tanne, ließ ich ohne Antrieb den abfallenden Weg hinunterrollen. Die frische Winterluft sog ich genüsslich in die Lungen. Es war eine Wohltat.

Plötzlich – wo kam der denn her? – stand mitten auf dem Weg ein grün gekleideter kleiner, aber gewichtiger Mann; unübersehbar. Ich erkannte in ihm den Jungjäger Hubert Wagner. Ein Gewehr hatte er sogar übergeschnallt. Und das am heiligen Sonntag. Ob der noch keinen Weihnachtsbraten hatte? Ich hielt in angemessenem Abstand und versuchte mein unschuldigstes Lächeln aufzusetzen. Ich weiß es noch genau. „Was machst du mit dem Auto hier im Wald“, war seine überflüssige Frage. „Ich habe mir den im Herbst ausgesuchten Christbaum geholt“, war meine ebenso überflüssige Antwort. Eine gut gemeinte Ermahnung musste ich allerdings einstecken, mit der Zusage mich im nächsten Jahr nicht mehr erwischen zu lassen. Hubert und ich trennten uns in Freundschaft. Und ich hielt im darauf folgenden Jahr bei der Suche nach einem Weihnachtsbaum im riesengroßen Oberkailer Wald meine Zusage; weder einen Förster noch eine andere Amtsperson traf ich im damals tief verschneiten Winterwald.

Willi Breuer, 09.12.08